FÜR NEUE MUSIK ZÜRICH
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09.12.2005  20:00  Zürich, Kunsthaus Vortragssaal
11.12.2005  20:00  Basel Gare du Nord "Frauen"

Sascha Lino Lemke
„Postscriptum“ (2005) UA
Fünf Stücke für Saxophone, Ensemble & Computer

Nils Wogram
„borderland“ Posaune Solo

Matthias Ronnefeld
„Sextett op.2“ (1979)
für Flöte, Klarinette, Violine, Violoncello, Piano, Percussion


ensemble für neue musik zürich und Gäste:
Hans-Peter Frehner/Flöten
Hansruedi Bissegger Klarinetten
Viktor Müller/Klavier
Lorenz Haas/Schlagzeug
Urs Bumbacher/Violine
Nicola Romanò/Violoncello

Holger Stenschke/Audiodesign
Nils Wogram/Posaune
Raphael Camenisch/Saxophone

Sebastian Gottschick/Leitung


Sascha Lino Lemke
"Postscriptum" (2005) Fünf Stücke für Saxophon(e), Ensemble & Computer

"Postscriptum", das als Auftragswerk des "ensemble für neue musik zürich" und für Raphael Camenisch, dem das Stück gewidmet ist, entstand, besteht aus 5 kurzen Stücken. Ein jedes hat seine eigene etüdenartige
Aufgabenstellung.
I - Preludium oder: InSchrift
Das erste, inspiriert von einem anonymen, mit Bleistift an die Wände des damals baustellenartigen Festspielhauses Dresden-Hellerau gekritzelten Textes, beschäftigt sich mit verschiedenen Arten der Texttranskription: Schreibrhythmen, die Buchstabenfigur als Spatialisationsgeste, Utopie des sprechenden Instrumentalspiels, instrumentale Synthese von Sprachanalysen usw.
II - Another Study in Ancient Harmony oder: Aimez-vous Brahms?
Das zweite Stück ist eine harmonische Studie, die sich in einem bestimmten mikrotonalen Klang und dessen feinen Rückungen festbeißt. Grundidee dabei ist, daß sich die reine Quart (Verhältnis 3:4) beinahe fehlerlos in drei um einen Sechstelton "zu kleine" große Sekundschritte (Verhältnis 10:11) teilen läßt. Um diese Harmonik auszukosten, sind die Violine und das Violoncello umgestimmt und spielen hauptsächlich leere Saiten und Naturflageolets.
III - Interludium
Das dritte Stück präsentiert Ausschnitte des bereits zu Beginn benutzen, dort jedoch noch stark verfremdeten obskuren Wandtexts.
IV - Loop Study oder: Message errante
Das vierte Stück basiert auf verschiedenen Looptechniken. Dabei werden Teile des Gespielten immer wieder neu "geschnitten" und miteinander kombiniert, so daß mit der Zeit die vielstimmigen Modelle erkennbar werden, die Ausgangspunkt der Komposition waren. Durch diese unregelmäßig repetitiven Klanglandschaften irrt eine unverstandene rhythmische Botschaft.
V - Postludium oder: Noch ein Wiegenlied
Das letzte Stück greift den Schluß des anonymen Wandtextes auf, der zunächst im Dokumentarton erscheint und durch quasi unendliches analoges Kopieren (letztendlich ja auch eine Art des Transkribierens) im Rauschen verschwindet. Gleichzeitig ertönt eine skurile Berceuse, gleichermaßen Hommage an Grisey und an meine kleine Tochter und ihre zahlreichen, am Ende dann doch immer erfolgreichen Einschlafversuche. Die formale und rhythmische Struktur ist von leiernden Kassettenrekordern, springenden CD-Spielern, Maschinen, denen der Strom abgestellt wird, und anderem mehr inspiriert.


Nils Wogram „borderland“


Matthias Ronnefeld
„Sextett op.2“ (1979) für Flöte, Klarinette, Violine, Violoncello, Piano und Percussion

Matthias Ronnefeld hat nicht lange nach seiner eigenen Sprache gesucht. In seinen zwölf vollendeten Werken, geschrieben zwischen dem zwanzigsten und dem siebenundzwanzigsten Lebensjahr, verdichtet sich gleich die existenzielle Erfahrung eines ganzen Lebens.
Bereits mit zwanzig schrieb er das Sextett, nach einem kurzen Andante op.1, das wie eine Vorstudie zum grossen Stück wirkt. Die Affinität zur Wiener Schule, insbesondere der Harmonik Alban Bergs, ist unüberhörbar – Ronnefeld, halb Däne, halb Deutscher, war immer sehr stolz auf seine Wiener Herkunft – verbindet sich aber mit der souveränen Beherrschung der neueren Kompositions- und Spieltechniken wie etwa den Klangschichtungen György Ligetis.
Der 1. Satz ist wie eine kurze Ouvertüre: ein D-Dur Akkord entfaltet sich in seine und deren Obertöne. Der 2. Satz beschreibt eine kahle, kalte Landschaft, fast reglos. Im kurze Zeit später enstandenen Trakl-Lied „An Mauern hin“ benutzte Ronnefeld das gleiche Material wie im 3. Satz des Sextetts: ein „alter Weg“ entlang an Mauern und „tausendjähr’gen Eichen“. Ein Dreiton-Ostinato, das sich allmählich verabschiedet, bildet den Untergrund für eine „endlose Melodie“, die sich durch die Instrumentenstimmen spinnt, bis sich in einem verzweifelten Ausbruch die Klarinette in dem dreitönigen Motiv festbeisst: auswegslos. Der kurze 4. Satz, „sehr zart im Ausdruck“, ist von Webernscher Dichte. Formbildend für den grossangelegten 5. Satz sind eine unruhig schwirrende Klangfläche und Bruchstücke von Kinderliedern, die in der Mitte des Satzes alle durcheinander zitiert werden. Die darauf folgende Steigerung kulminiert in einem dramatischen Tamtam-Crescendo, das bis an die Schmerzgrenze geht. Aus dessen Nachhall taucht die Coda auf, wie eine tiefmelancholische Reminiszenz, die Momente aus den ersten vier Sätzen zitiert.
S.G.



Sascha Lino Lemke
Der am 10.11.1976 in Hamburg geborene Sascha Lemke studierte Komposition, elektronische Musik und Musiktheorie in Hamburg und Paris. Sein besonderes Interesse gilt mikrotonalen Fragen und der Computermusik. Zu seinen Arbeiten zählen Stücke für verschiedene kammermusikalische Besetzungen sowie Musiktheater. Er war Stipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes und wurde mit dem Kranichsteiner Stipendienpreis, dem Bachpreis-Stipendium der Stadt Hamburg und dem Dresdner Musik Stipendium ausgezeichnet. Sein Orchesterwerk „...comme une berceuse...“ wurde für die Saarbrücker Komponistenwerkstatt 2004 ausgewählt. 2004/2005 absolvierte er am Pariser IRCAM einen einjährigen Computermusik- und Kompositionskurs, den er soeben erfolgreich abgeschlossen hat.

Raphael Camenisch Saxophone
Raphael Camenisch wurde 1975 in Zürich geboren. Während seiner Gymnasialzeit gewann er den schweizerischen Solisten-wettbewerb und erhielt die Möglichkeit, als Jungstudent in der Klasse von Marcus Weiss Saxophon zu studieren. Seine Studien setzte er an der Musikhochschule Zürich bei Jean-Georges Koerper fort, wo er das Konzertdiplom mit Auszeichnung erwarb und im selben Jahr mit dem Hans Ninck Preis ausgezeichnet wurde. Weitere künstlerische Anregungen erhielt er in Meisterkursen bei Ivan Roth, Jean-Michel Goury und Kyle Horch. Er ist Gewinner verschiedener Wettbewerbe und war 2003 Solist bei den Orpheum Sonderkonzerten.
Raphael Camenisch verfolgt ein vielseitiges Engagement als Solist und Kammermusiker und hat sich als Saxophonist in einem sehr breit angelegten Repertoire von der „traditionellen“ Saxophonliteratur über romantische Transkriptionen, bis hin zur elektroakustischen Musik und freien Improvisation, vor allem als Spezialist der zeitgenössischen Musik, einen Namen gemacht. Er pflegt eine rege Konzerttätigkeit mit verschiedenen Ensembles(u.A. ensemble für neue musik zürich, Ensemble Phœnix Basel, Klangforum Wien...)

Holger Stenschke (geboren 1975 in Kaiserslautern, Deutschland) studierte drei Jahre Elektrotechnik-Toningenieur an der Technischen Universität und am Institut für Elektronische Musik der Kunstuniversität in Graz. Seit Herbst 2000 ist er im Studiengang Audiodesign am Elektronischen Studio der Musikhochschule Basel eingeschrieben. Im September 2003 begann er seine Tätigkeit als Consultant in Fabrica (dem Zentrum für Kunst und Medienkommunikation der Benetton Gruppe). In der dortigen Abteilung für Musik & Sound zeichnet er mittlerweile verantwortlich für die technisch-künstlerische Realisation von Musik-Grossevents, ist tätig als Interpret live-elektronischer Musik, Filmmusik-Komponist, Musik-Produzent und Entwickler von interaktiven Systemen.

Nils Wogram 1972 in Braunschweig geboren, begann im Alter von 12 Jahren mit einer musikalischen Ausbildung in Jazz und Klassik. Zwischen 1989 und 1992 war er mehrfacher Bundespreisträger bei „Jugend musiziert” sowie in Sonderwertungen in der Stilistik der Neuen Musik. 1989 wurde er Mitglied im Bundesjazzorchester unter der Leitung von Peter Herbolzheimer. Ein Stipendium der Universität „New School” führte Ihn 1992-1994 nach New York. Dort studierte er mit Größen wie Reginald Workman,Slide Hampton,Conrad Herwig,Buster Williams, Maria Schneider und Kenny Werner. 1994 veröffentlichte er sein Debutalbum „New York Conversations” bei Mons Records.Seit seiner Rückkehr aus New York ist Nils Wogram einer der gefragtesten Soloposaunisten Europas. Mit seinen Ensembles war er bereits auf weltweiten Tourneen unterwegs und spielte auf unzähligen renommierten Festivals wie North Sea, Willisau,Saalfelden, Berlin, Amsterdam, Madrid, Moskau, Stockholm, Sarajevo uva. 1995 erhielt Wogram ein Stipendium der Stiftung Kunst und Kultur des Landes NRW zur Produktion seiner Quartett-CD ¸Round Trip” (Enja Records 1996). Er ist Dozent an der Musikhochschule Luzern und wird regelmäßig zu Workpshos in ganz Europa eingeladen. 1996 wurde er Preisträger des internationalen Frank Rosolino Scholarship (USA). 1997 Auszeichnung mit dem Kulturstern der Münchner Abendzeitung sowie Preisträger der„ Julius Hemphil Competition” (USA). 1998 veröffentlichte er seine zweite CD Speed Life (Enja), wurde mit dem Jazzpreis Nürnberg und dem NRW Jazzpreis ausgezeichnet. 1998 erhielt er den SWR Jazzpreis.
Zusammenarbeit mit bekannten Musikern wie Tomasz Stanko, Kenny Wheeler, Kenny Werner, Simon Nabatov, Phil Minton, Aki Takase, Fred Frith, Eugene Chadbourn, Conny Bauer und vielen anderen.

Matthias Ronnefeld (1959-1986)
Geboren 1959 in Wien als Sohn des Komponisten und Dirigenten Peter Ronnefeld und der Pianistin Minna Ronnefeld. Matthias Ronnefeld lebte in Deutschland, Wien Kopenhagen und von 1978 bis zu seinem Tod 1986 in Hamburg. Violinunterricht bei Alice Harnoncourt 1966-69, Klavier bei H.D. Koppel 1974-76 und Komposition bei P. Norgard 1973-76. 1978-80 studierte Matthias Ronnefeld Komposition bei G. Ligeti. 1982 gewann er den 1.Preis beim Kompositions-Wettbewerb Hitzacker. Kompositionsaufträge vom Bayrischen Rundfunk, Norddeutschen Rundfunk und der IGNM Mannheim.
15. April 2024
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T +41 (0)44 383 81 81, M +41 (0)79 207 55 92
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