FÜR NEUE MUSIK ZÜRICH
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09.12.2012  17:00  Zürich, Kunsthaus Vortragssaal, Heimplatz 1

Kit Powell zum 75. Geburtstag

Sextet (2012) UA
Flöte, Bassklarinette, Violine, Violoncello, Klavier und Schlagzeug

Was Liebe ist (2011)
Sopran und Klavier

Chance Piece (2006) UA
Flöte und Tonband

Kapiti (2005) UA
Klavier

Microzoic Piano Suite (2012) UA
Bariton und Ensemble

ensemble für neue musik zürich
Hans-Peter Frehner, Flöte
Manfred Spitaler, Klarinette
Gianluca Romanò, Klavier
Lorenz Haas, Schlagzeug
Urs Bumbacher, Violine
Nicola Romanò, Violoncello

Dominik Blum, Leitung und Klavier

Fiona Powell, Sopran
David Thorner, Bariton
Phillip Powell, Posaune


Das Sextett bezieht sich auf zwei berühmte Werke: Das “Musikalische Opfer” von Bach und das “Konzert” Op. 24 von Webern. Die Tonreihe vom Webern’schen “Konzert” wird durchgehend angewendet, Fragmente beider Werke sind mehrmals zu hören.
Die 16 Sektionen sind nach meiner Abelian-Form organisiert: A’, B’, C’, D’, E’ und F’ sind eng mit A, B, C, D, E und F verwandt 1a, 1b, 1c und 1d sind Umspielungen um einen einzelnen Ton.

Was Liebe ist (für Brigitte)
Ein Zyklus von 15 Liedern zu Gedichten von Jürg Schubiger. Die Texte beziehen sich auf Postkartenbilder von Wolf Erlbruch. Texte und Bilder sind im Buch Zwei, die sich lieben erschienen (Peter Hammer Verlag GmbH, Wuppertal 2012).
Obwohl atonal, ist die Musik (wie auch die Bilder und die Gedichte) immer spielerisch und zugänglich.

Chance Piece
Dieses Werk kombiniert drei für mich wichtige kompositorische Verfahren: die Anwendung von Zufall, Erzeugung neuer Klänge mit gefundenen Gegenständen und Computermusik. Die Flötenpartie ist durch Zufallstechniken entstanden.
Das Tonmaterial für das ‘Tonband’ (heute Computer) ist mit gefundenem Material produziert, wird teilweise ‘roh’ gebraucht, teilweise mit dem Computer verfremdet und anschliessend mit dem höchst komplizierten Ambisonic-Verfahren (dafür möchte ich mich bei Johannes Schütt und Peter Färber vom ICST bedanken) zu dreidimensionalem Klang umgewandelt.
Chance Piece for Flute and Tape hat vier Sektionen:
Die erste mit vorwiegend Metallklängen, die zweite mit Klängen von Rohren, ‘gepoppt’ und
geblasen, die dritte mit Steinklängen, gerieben und geklopft, und die letzte (kürzer) mit Stein- und Holzklängen.

Kapiti ist eine kleine Insel nördlich von Wellington (NZ). Früher war sie die Heimat von einem kriegerischen Maori-Stamm, später eine Farm für Schafzucht mit den dazugehörigen europäischen Tierarten (Katzen, Hunde, Ratten, Wiesel …), welche eine verheerende Auswirkung auf die einheimische Vogelwelt (ein Teil davon flugunfähig) hatten. Erst in den 1980er Jahren wurden all diese Fremdlinge von Kapiti entfernt, viele rar gewordene neuseeländische Vögel zurück gebracht und die Insel zum Schutzgebiet erklärt.
Jetzt, etwa dreissig Jahre später, ist der Bestand an einheimischen Vögeln auf Kapiti viel grösser geworden, und sogar auf dem nahe liegenden Festland sind die flugfähigen Vögel viel häufiger zu sehen. Mein Kapiti ist ein Lob an alle, die diese Erfolgsgeschichte ermöglichten, insbesondere an die Vögel, die ihre Stimmen dem Stück verliehen haben: Kiwi, Bellbird, Saddleback, Little Grey Warbler, Takahe und Morepork (eine Art Kauz). Es ist meinem alten Freund Barry Williams gewidmet, der mit herrlichem Blick auf Kapiti wohnt und für mich und Brigitte einen Besuch auf dieser geschützten Insel arrangiert hat.

Microzoic Piano Suite ist das jüngste auf einer langen Liste von kollaborativen Werken mit meinem Dichter-Freund Michael Harlow. Unsere Zusammenarbeit ist gekennzeichnet durch gegenseitiges Vertrauen, welches mir erlaubt, einen Harlow-Text anzuwenden und zu gestalten, wie ich möchte.
Im Gegenzug macht Michael Vorschläge zur Musik, die ich gerne annehme. Dieser neue Text, bzw. diese 13 kleinen Texte, erzählt das Leben eines Künstlers mit seinen widersprüchlichen Eigenschaften wie Kindlichkeit (”boy-man”) und sexuelle Reife (”The glory of it I thought then and still do”), Sicherheit (”always going to sing their way into the hearts of everyone”) und Zweifel (”Quand on est dans la merde jusqu’au cou …”), Ernsthaftigkeit (”After all, said father who had been reading forever discovering one thing and another”) und Wahnsinn (”Some thought him a little crazy and others agreed.”) etc.
Interessant ist die Rolle des Klaviers im Gedicht: Dieses ist einerseits ein Symbol für Kunst im Allgemeinen und anderseits ein erotisches Symbol. Wenn das Klavier Geburtstag feiert (“They have birthdays too” ), merken wir, dass die Kunst sich selber feiern darf und muss. Die Form dieses Werkes ist auch “Abelian”. Das Diagramm (oben) zeigt die 16 Sektionen des Stückes. Die Zahlen mit dem ‘§’ entsprechen den 13 Abschnitten des Gedichtes. Felder mit derselben Struktur haben ähnlichen musikalischen Inhalt: z. B. die Fuge, die man anfangs der Sektion 4 (§3) hört (”And then there were the children …“), kommt wieder in der Sektion 13 (§10) (”And once was in a fledgling poem …”) vor.
Oder die rap-artige Sektion 8 (“After all, said Father …”), in der der Text in Fragmenten nach Zufall zerteilt, wiederholt und nur von Schlaginstrumenten begleitet wird, erscheint wieder in Sektion 14 (”When he did arrive …”). Die blauen Felder (1, 6, 11 & 16) beinhalten eine Reihe von Ritornelli (rhythmische Fragmente, die sich mit Variationen wiederholen und von Zufall bestimmt sind), in welchen das Klavier die Hauptrolle spielt. Diese Ritornelli sind zuerst rein instrumental, aber am Schluss singt der Solist auch mit. Das Stück wurde eigens für diesen Anlass komponiert.
20. Januar 2013
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