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26.06.2012  20:00  St. Gallen, Lokremise
27.06.2012  20:00  "

Forelle Stanley
Kammeroper von Daniel Fueter

Regie: Philip Bartels
Musikalische Leitung: Sebastian Gottschick
Korrepetition: Simone Keller
Libretto: Mona Petri
Bühne: Markus Schmid
Kostüme: Marion Steiner
Licht/Technik: Li Sanli
Gesang:
Rea Claudia Kost (Mezzosopran)
Marian Dijkhuizen (Mezzosopran)
Jeannine Hirzel (Mezzosopran)
Niklaus Kost (Bariton)

ensemble für neue musik zürich
Murat Cevik (Flöten)
Manfred Spitaler (Klarinetten)
Urs Bumbacher (Violine)
Moritz Müllenbach (Violoncello)
Viktor Müller (Piano)
Sebastian Hofmann (Schlagzeug)

Produktion:
stranger in company Ⓟ


„Forelle Stanley“ ist das dritte Theaterstück der jungen kanadischen Autorin Claudia Dey und in vielerlei Hinsicht eine ideale Vorlage für die moderne Kammeroper, die Daniel Fueter für die dafür mitwirkenden Sängerinnen und Musiker komponiert hat. Die Geschichte von Grace, Sugar und Forelle Stanley lässt sich schwer nur einem Genre zuordnen: Boulevardeske Krimi-Passagen wechseln sich mit Szenen ab, die ein Psychogramm der beiden vom Schicksal aneinander geketteten Schwestern zeichnen.
Auch auf Ebene der Musik wird mit verschiedenen Stilen gespielt. Daniel Fueters Komposition bewegt sich zwischen Elementen der Populärmusik der achtziger Jahre, Pop- und Rockanklängen des zwanzigsten Jahrhunderts, Musicalstrukturen und zeitgenössischer klassischer Musik.

Oper Forelle Stanley

Die Geschichte von Grace, Sugar und Forelle Stanley lässt sich schwer nur einem Genre zuordnen:
Boulevardeske Krimi-Passagen wechseln sich mit Szenen ab, die ein Psychogramm der beiden
vom Schicksal aneinander geketteten Schwestern zeichnen. Realistische Szenen stehen neben
solchen, die Züge des Absurden Theaters tragen.
Darin besteht schon in der Vorlage von Claudia Dey ein grosser Reiz, der durch die Vertonung
zusätzlich gewinnt, da die Musik auf noch ganz andere Art mit Genres spielen kann als das
Theater. Ich glaube, dass man der „Forelle Stanley“ nur gerecht wird, wenn man nicht versucht,
diese Uneindeutigkeiten zu glätten. Dabei besteht natürlich die Gefahr, dass als Ergebnis der
Eindruck von Beliebigkeit und Nebeneinander überwiegt.
Die Musik hilft, dieser Gefahr zu begegnen, das Operngenre steht über dem Ganzen und bildet
einen Zusammenhalt selbst bei sehr unterschiedlichen Themen des Stückes und ermöglicht es, die
szenische Phantasie der Protagonisten bis an die Grenzen auszuloten.

Das Libretto ist hierbei mehr als nur eine kluge Strichfassung der Theatervorlage. Es verdichtet und
rhythmisiert und führt mit der Erfindung von „Nummer Drei“ – der bei der Geburt verstorbenen
Drillingsschwester – eine Figur ein, die während des ganzen Abends präsent ist, aber nicht auf der
Bühne steht, und genau dadurch eine grosse Palette an Einsatzmöglichkeiten zur Verfügung hat:
Sie ist Kommentatorin, Stimme aus dem Jenseits, übernimmt aber auch als Orchestermitglied rein
musikalische Parts, ist für Alltagsgeräusche verantwortlich wie z.B. das Fernsehprogramm… Die
Figuren a u f der Bühne: Ein Einzelgänger und symbiotische Zwillinge; im Vordergrund steht hier die
Frage nach dem Umgang mit Einsamkeit und mühsam überwundenen Schicksalsschlägen.
Gegensätzliche, radikale Lebensentwürfe treffen aufeinander, das bisher gelebte Leben wird
infrage gestellt. Gerade weil man mit dem Festhalten an einem über Jahre verteidigten Selbstbild
seinem eigenen Glück im Wege steht, ist dies ein grosser Kampf mit ungewissem Ausgang.

Die menschliche Stimme im Orchestergraben, wie oben erwähnt, zeigt bereits, dass die Orchester-
musik nicht einfach als Begleitung getrennt vom Bühnengeschehen für die Klangkulisse ver-
antwortlich ist. Bei der Konzeption des Bühnenraumes war es uns deshalb wichtig, dieser
Konstellation Rechnung zu tragen und eben keinen Graben zu bauen*.
Der von Sugar und Grace bewohnte „Huis clos“ ist ein auf Stelzen gebautes Eigenheim aus wieder
verwendeten Reklametafeln – sich erhebend über den schlammigen Boden der Wildnis und den
Dreck der Müllkippe, auf der Grace als Aufseherin das Geld für beide verdient; aber eben auf
morschen Füssen stehend, wackelig.

Drumherum, auf Höhe des festen Bühnenbodens, die Instrumentalisten und „Nummer Drei“, keiner
von ihnen betritt das Bühnengerüst. Auf dem Boden der Tatsachen: Ein Schrottplatz (die gross-
zügige Verwendung von Schlagwerk in Daniel Fueters Komposition verstärkt diesen Eindruck auch
optisch). Der Schutz, den eine Guckkastenbühne Opernsängern üblicherweise bietet, ist nicht
gegeben, die Welt tobt rechts und links und hinter und unter ihnen. Sie können und sollen noch so
schön singen, aber die Welt, in der sie singen, bleibt fragil, gefährdet, vorläufig.

Philip Bartels

20. Januar 2013
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